Die Partizipationsfalle: Eine Antidote zu Change management (2/4)
Zweiter Teil der Serie „Eine Antidote zu Change Management“. Dieses Mal im Fokus: Die Partizipationsfalle
These: Es müssen alle mit einbezogen werden
Viele Organisationen sind in den letzten Jahren bildlich gesprochen auf der anderen Seiten vom Pferd gefallen. Sie haben die Diktatur der Einzelnen gegen eine Diktatur der Masse eingetauscht. Die Partizipationsfalle. Alle quatschen mit, jeder hat zu allem eine Meinung und will gehört werden. Das Ergebnis sind unzählige Abstimmungsmeetings und Entscheidungslethargie.
Beratung braucht hierfür eine Erklärung, jenseits von Mindset und Heldengeschichten. Es fehlt an einer Unterscheidung. Denn nur wer unterscheiden kann, kann Zusammenhänge erkennen. Ich vermute – und das wurde bisher sehr oft in der Praxis bestätigt, dass die Unterscheidung zwischen komplizierter und komplexer Wertschöpfung zwar bekannt ist, aber es an Ideen fehlt, diese für die Organisation konstruktiv nutzbar zu machen. Die Konsequenzen sind weitreichend. Ein Symptom von Vielen, ist die oben bereits erwähnte Partizipationsfalle.
Kompliziertheit beschreibt ein Verhältnis zwischen jemandem und etwas. Eine Stadtkarte der Londoner Innenstadt ist für mich kompliziert. Für einen hiesigen Taxifahrer nicht. Kompliziertheit kann durch Wissen reduziert, sogar gänzlich eliminiert werden.
Komplexität hingehen ist eine Eigenschaft eines Systems. Ein System ist dann komplex, wenn sich aus dem was in der Vergangenheit passiert ist, nicht folgern lässt was in Zukunft passieren wird. Alternativ lässt sich auch sagen, dass sich aufgrund der selben Ausgangslage widersprüchliche Hypothesen über die Zukunft bilden lassen. Unser Bewusstsein ist ein solches System. Ich weiß nicht, welchen Gedanken ich als nächstes denken werde. Jede Operation ist eine Überraschung – auch für mich selbst.
Das besondere an Organisationen ist nun, dass sie auf Basis einer Symbiose aus komplizierter und komplexer Wertschöpfung operiert. Es braucht immer beides und zwar im für die Wertschöpfung angemessen Verhältnis. Die Phänomene an den Rändern des Spektrums sind einfach. Repetitive Tätigkeiten, für die bereits Wissen in der Organisation vorhanden sind, sollten nicht ständig diskutiert werden. Hierfür gibt es Prozesse und diese müssen eingehalten werden! Die Führungskraft oder präziser die Steuerungskraft ist der Wächter des Prozesses. Hier ist die Frage nach dem „wie“ zielführend. Für sehr überraschungsreiche Tätigkeiten, bei denen kein Wissen vorhanden sein kann (sonst wären es keine Überraschungen), ist Steuerung (also das zur Verfügung stellen von Wissen) der unpassende Ansatz. Stattdessen braucht es Menschen, denen die Organisation ausreichend Kompetenz zuschreibt, um das Problem zu lösen. Die Frage nach dem „wer“ ist also cleverer, als die Frage nach dem „wie“. Das leitende Prinzip könnte also lauten „Wer vor Wie“. Die Führungskraft nutzt ihre formale Macht, um den Könner gekonnt in Szene zu setzen und vor der Übergriffigkeit der formalen Seite der Organisation zu schützen.
Zurück zur Partizipationsfalle. Sie ist, wie bereits angedeutet, das Ergebnis einer fehlenden Differenzierung zwischen kompliziert und komplex. Viel Organisationen kennen nur das eine oder andere Extrem. Sie kennen entweder nur die Steuerung als Managementinstrument, oder verfallen den moralisch aufgeladenen Heilsversprechen der modern Beratungsmoden wie Agilität oder New Work, die Führungskräfte und Hierarchie verteufeln und stattdessen das Individuum in den Fokus rücken wollen. Beide Extreme funktionieren nicht, weil sie meistens der heute benötigen Vielfalt der Wertschöpfung nicht gerecht werden können. Unter Stress, der durch die zunehmende rot / blau Melange entsteht, bedienen sich beide Seite dessen was sie kennen. Was sollen sie auch sonst tun? Die eine Seite optimiert die Steuerung und verbrennt sich im Hochleistungstaylorismus. Die andere Seite wird zur Moralapostel und verkommt im Spiel um Geld in tagelangen Mindfullnessworkshops.
„Wer sieht, dass er nicht sieht was er bislang nicht sieht fängt an sich zu verändern“ – so Klaus Eidenschink. Ein hochdifferenziertes Bild der Möglichkeiten anbieten zu können, ist Grundvoraussetzung, um wirksam irritieren zu können. Dafür ist Theorie notwendig.
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